„Die Leute sollen hereinströmen wie in die Buden auf dem Oktoberfest“



Vor 120 Jahren wurde das Deutsche Museum gegründet. Es ist schon in den ersten Jahren trotz aller Provisorien ein Publikumsmagnet – doch dann bringt der Erste Weltkrieg den Bau eines eigenen Ausstellungsgebäudes zum Stillstand.

(ir) Dieser Tage vor 120 Jahren, im Juni 1903, schlägt die Geburtsstunde des Deutschen Museums. Am Rande der Jahreshauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) wird am 28. Juni der „Verein des Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik“ gegründet – auf Betreiben von Oskar von Miller. Bis zur Eröffnung eines Ausstellungsgebäudes auf der Museumsinsel wird es dann noch 22 Jahre dauern – was die Beteiligten aber natürlich nicht ahnen.



Es muss ein feierlicher Moment gewesen sein. Mehr als ein Jahrzehnt lang hat Oskar von Miller auf diesen Augenblick hingearbeitet. Am 1. Mai 1903 verschickt von Miller ein Rundschreiben, das die Gründung eines Museumsvereins zum Ziel hat. Adressaten sind bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Industrie wie Wilhelm Conrad Röntgen, Carl von Linde, Hugo von Maffei und Rudolf Diesel. Schon am 5. Mai bildet sich ein „provisorisches Komitee“ des Vereins, und gleich kommen 260.000 Mark für ein solches Museum zusammen.



Am 28. Juni 1903 wird der Museumsverein gegründet – mit Prinz Ludwig von Bayern als Schirmherr. Kurz vorher hatte der Magistrat der Stadt München die alte Kohleninsel in der Isar als Baugrund für einen neu zu errichtenden Museumsbau zur Verfügung gestellt. Den Grundstock der Sammlungen des Deutschen Museums bilden Stiftungen aus der Industrie und die Übertragung der Sammlung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – der Ursprung einer Sammlung, die heute mehr als 120.000 Objekte umfasst.



Schon drei Jahre später, im Jahr 1906, öffnet das Museum seine Türen. Nicht auf der Museumsinsel, sondern an der Maximilianstraße, im alten Nationalmuseum, in dem heute das Museum „Fünf Kontinente“ untergebracht ist. Es ist von Anfang an ein Erfolg – mit zunächst rund 1000 Besuchern pro Tag. 1907 sind es im ganzen Jahr bereits 211.000 Besucherinnen und Besucher.



Von Miller und die Seinen machen aber überdeutlich, dass das für sie nur eine Übergangslösung ist: Nur einen Tag nach der Eröffnung des Provisoriums wird im Beisein von Kaiser Wilhelm II. der Grundstein für das Ausstellungsgebäude auf der Museumsinsel gelegt. So liest sich das in den historischen Aufzeichnungen: „Nachmittags um 2 Uhr besichtigten die Kaiserlichen Majestäten in Begleitung Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Ludwig des Protektors des Museums das provisorische Deutsche Museum im alten Nationalmuseum, dessen Reichhaltigkeit trotz der Kürze seines Bestehens, dank der opferwilligen Beteiligung aller wissenschaftlichen und technischen Kreise, bereits erkennen liess, welche hohe Bedeutung das künftige Werk nicht nur für Deutschland, sondern auch für die ganze kulturelle Welt haben wird.“ Und von der Grundsteinlegung heißt es, nachdem Röntgen den Kaiser selbst gebeten hatte, die Zeremonie zu vollziehen: „Nachdem seine Majestät der Kaiser unter dem Geläute sämtlicher Glocken der Stadt den Hammerschlag vollzogen hatte, folgten ihnen die übrigen Ehrengäste. Nach der Zeremonie des Hammerschlages bekränzten weißgekleidete Mädchen den Grundstein.“ Der goldene Hammer ist übrigens erhalten, und der Grundstein befindet sich immer noch unter der Eingangshalle des Museums.



Gut zwei Jahre später, im Januar 1909, wird gleich noch eine Dependance des Museums geöffnet – in der Schwere-Reiter-Kaserne, praktisch gegenüber von der Museumsinsel. Jetzt hat das Museum schon rund 10.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung.



Oskar von Miller selbst schwärmte von der riesigen Unterstützung in der Gründerzeit des Museums: „Mein Plan fand den Beifall in weiten Kreisen. Und von allen wurde er unterstützt. Wenn wir eine Bitte an den Stadtrat, an den Landtag oder an den Reichstag stellten, so wurde sie immer einstimmig, ohne Unterschied der Parteien genehmigt. Aber auch die Mithilfe war einhellig. Die reichen Leute, die gaben uns Geld. Die Industrie stiftete uns ihre Produkte, die Gelehrten legten die Grundlagen für die wissenschaftlichen Abteilungen. Sie halfen uns bei Beschreibung, bei Erläuterung der Apparate. Die Künstler schmückten die Museumsräume. Aber auch die Arbeiter ließen es sich nicht nehmen, mitzuhelfen. Zur Zeit der allergrößten Not erklärten sie sich bereit, in ihren freien Stunden am Samstagnachmittag und am Sonntag mitzuarbeiten, ohne Entschädigung!“



Aber warum überhaupt ein solches Museum? Ein Technik- und Wissenschaftsmuseum ist zwar keine Münchner Erfindung, aber weitverbreitet sind diese Häuser damals auch nicht. Matthias Röschner, Leiter des Archivs des Deutschen Museums und ein ausgesprochener Kenner der Museumsgeschichte, erklärt: „Ingenieure fühlten sich um 1900 sozial und gesellschaftlich nicht richtig anerkannt, gerade vor dem Hintergrund der rasanten technischen Entwicklungen in den Jahrzehnten zuvor. Sie wollten ihre Leistungen auf eine Stufe stellen mit anderen kulturellen und künstlerischen Leistungen. Oskar von Millers Idee war es daher, auch die Errungenschaften aus Naturwissenschaft und Technik in einem Museum als ‚Meisterwerke‘ auszustellen.“ Und genau so wird es auch – allerdings erst deutlich später, als man sich das ursprünglich vorgestellt hatte.



Nur neun Jahre nach der Grundsteinlegung, also 1915, hätte das Deutsche Museum, so wie wir es heute kennen, eröffnen sollen. Doch der Erste Weltkrieg macht den Museumsgründern einen Strich durch die Rechnung. Die Gelder gerade aus der Industrie fließen nur noch spärlich, und noch nicht einmal das Dach des Museums wird fertig, weil das Kupfer für die Kriegsproduktion gebraucht wird. 1916/1917 steht die Baustelle komplett still, erst nach Kriegsende gehen die Arbeiten weiter.



Es dauert noch bis zum 7. Mai 1925, bis zu Millers 70. Geburtstag, bis sich der Traum des Museumsgründers erfüllt. 34 Jahre, nachdem er die Idee des Museums zum ersten Mal in einem Brief an seine Frau Marie skizziert hatte. Da wird sein Haus, für das sich von Miller 1905 gewünscht hatte: „Die Leute sollen ins Museum hereinströmen wie in die Buden auf dem Oktoberfest“, mit großem Prunk eröffnet. Und ja, die Leute strömen herein – das Deutsche Museum steuert derzeit auf die Marke von 100 Millionen Besucherinnen und Besuchern zu.



„Ich habe einen riesigen Respekt vor der Lebensleistung Oskar von Millers“, sagt Generaldirektor Wolfgang M. Heckl. Schon die Generalsanierung des Hauses sei eine große Aufgabe. „Aber ein solches Haus praktisch aus dem Nichts heraus zu erschaffen, trotz widrigster Umstände: Das ist etwas Einmaliges.“



Das Deutsche Museum feiert seinen 120. Geburtstag mit einem „Festival der Zukunft“ am Wochenende 8./9. Juli 2023 auf der ganzen Museumsinsel. Von der Ludwigs- bis zur Corneliusbrücke gibt es viele Angebote auch für Kinder und Familien mit Workshops und Bühnenprogrammen im Außenbereich, auch Künstlerinnen und Künstler treten auf. Im „Forum der Zukunft“ an der Ludwigsbrücke und im wunderschönen „Posthof“ des Museums geht es um wichtige Zukunftsthemen wie Klimaschutz, Künstliche Intelligenz und Robotik. Generaldirektor Wolfgang M. Heckl sagt: „Wir wollen das Festival nutzen, um zu zeigen, dass ein Museum wie das unsere eben nicht in der Vergangenheit lebt, sondern auch die Zukunft zeigt – und diese wichtigen Zukunftsthemen mit seinen Besucherinnen und Besuchern diskutiert. Das ist Wissenschaftskommunikation im besten Sinne.“



Die Teilnahme an den Programmen im Außenbereich und im „Forum der Zukunft“ ist kostenlos, für einen Besuch der Ausstellungen muss eine Eintrittskarte gekauft werden. Das Museum ist an beiden Tagen wie gewohnt von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet, das kostenlose Programm im Außenbereich dauert am Samstag von 10:00 Uhr bis 22:00 Uhr, am Sonntag von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr.